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Konsequenz aus Staudamm-Bruch in Ukraine

Internationale Schutzzone für AKW Saporischschja

(Pressemitteilung, 12.06.2023) Umweltverbände fordern Ende von Atomgeschäften mit Rosatom – Bundesregierung und EU viel zu leichtsinnig im Atombereich.

Die Friedensnobelpreisträgerin IPPNW, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) sowie Anti-Atomkraft-Initiativen aus Niedersachsen und NRW fordern angesichts des dramatischen Staudamm-Bruchs in der Ukraine eine sofortige und entschiedene diplomatische Initiative der Bundesregierung und der EU zur Einrichtung einer internationalen und entmilitarisierten Schutzzone rund um das Atomkraftwerk Saporischschja unter Aufsicht der UNO. Die Verbände und Initiativen fürchten, dass das Auslaufen des zerstörten Dnipro-Staudamms auch zu einem dramatischen Verlust an Kühlwasser für das AKW führen kann. Zudem sind weitere Kämpfe oder Sabotageakte rund um das AKW jederzeit möglich. Die Zerstörung des Staudamms sorgt auch flussabwärts für eine enorme Umweltkatastrophe und für neues Leid.

Dr. Angelika Claußen,  IPPNW-Vorsitzende, erklärt: "Die Lage rund um Saporischschja hat durch den zerstörten Staudamm eine neue Alarmstufe erreicht. Mit jedem Tag, den die Kämpfe andauern, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer nuklearen Katastrophe kommt. Wir fordern zusammen mit internationalen Reaktorexperten, dass Russland unter dem Schirm der UNO gemeinsam mit der Ukraine eine internationale Vereinbarung zum Schutz und zur Entmilitarisierung des AKW Saporischschja trifft – so wie es auch mitten im Krieg zum wegweisenden Getreideabkommen gekommen ist. Wichtigstes Ziel ist der Schutz des Reaktorkühlsystems, um eine drohende Kernschmelze zu verhindern, die ganz Europa betreffen würde. Der Vorfall zeigt erneut und in grausamer Weise, dass kein AKW unter Kriegsbedingungen sicher sein kann und jederzeit unvorhergesehene oder absichtlich herbeigeführte Unfälle zur Katastrophe führen können."

Zudem werfen die Verbände und Initiativen der Bundesregierung und der EU vor, in den letzten Jahren im Atombereich viel zu leichtsinnig agiert zu haben. Trotz des Ukraine-Kriegs werden vor allem auf Druck der französischen und ungarischen Regierung bis heute gemeinsame Projekte mit dem russischen Atomkonzern Rosatom vorangetrieben. Dazu zählen die Kooperation des französischen Atomkonzerns Framatome mit Russland zur Brennelementeherstellung im niedersächsischen Lingen sowie gemeinsam mit Siemens Energy zum Bau des von Rosatom projektierten AKW Paks in Ungarn. In der Ukraine ist Rosatom durch die Leitung des AKW Saporischschja direkt in die russische Besatzung eingebunden.

Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, erklärt: "Der dramatische Staudammbruch in der Ukraine zeigt abermals, dass es mit Atomkraftwerken keine Sicherheit geben kann. Auch die deutsche Bundesregierung muss die Gefahren, die von der Atomkraft ausgehen, weiter ernst nehmen und sich ihnen entgegenstellen – international und national. Sie darf sich nicht auf der Abschaltung der hiesigen AKW ausruhen, sondern muss gesetzlich dafür sorgen, dass auch alle Urananlagen in Deutschland umgehend abgeschaltet werden. Das nukleare System darf nicht weiter aus Deutschland befeuert werden."

Seit 2016 werden zudem vier der sechs Reaktorblöcke in Saporischschja mit angereichertem Uran des deutsch-niederländisch-britischen Uran-Anreicherers Urenco beliefert. Urenco betreibt auch im westfälischen Gronau eine Urananreicherungsanlage. Von Gronau wird regelmäßig Uran zur schwedischen Brennelementefabrik Västeras geliefert. Die aktuellsten Exportgenehmigungen des deutschen Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) stammen nach Angaben des Bundesumweltministeriums vom 15. und 30. November sowie 16. Dezember 2022. Entsprechende Transporte finden regelmäßig statt. Das angereicherte Uran von Urenco wird in Västeras vom US-Konzern Westinghouse zu Brennelementen verarbeitet und dann in die Ukraine exportiert.

Die Verbände und Initiativen haben diesen Uran-Deal schon 2016 scharf kritisiert, weil Saporischschja schon damals sehr nahe an der umkämpften Region im Donbass lag. Auch zwei Blöcke des AKW Süd-Ukraine werden von Urenco und Westinghouse beliefert. Sie liegen unweit der heutigen Kampfzone bei Cherson und damit eindeutig innerhalb der Reichweite russischer Raketen und Drohnen.

Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen, erklärt: "Wir alle bezahlen heute einen enormen Preis für die unverantwortliche Naivität im Atomsektor. Warum wurde der Ukraine nicht beim Umstieg auf erneuerbare Energien geholfen? Warum wird an der Belieferung der AKW Saporischschja und Süd-Ukraine mit angereichertem Uran und Brennelementen aus der EU festgehalten, obwohl wir täglich mit der Gefahr eines neuen Super-GAUs konfrontiert werden? Warum bleibt Rosatom trotz seiner tiefen Verwicklung in die militärische Besetzung des AKW Saporischschja weiter ein "normaler" Handelspartner für die Bundesregierung, Frankreich und die EU? Wir brauchen endlich eine sicherheitsorientierte Kehrtwende – weg vom atomaren Irrweg." 


Exportliste des BMUV für Kernbrennstoffe:
https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/ausfuhrgenehmigungen_brennelemente_bf.pdf

Kontakte:
Dr. Angelika Claußen (IPPNW): Tel. 0172-5882786
Juliane Dickel (BUND): 0176-31267936
Alexander Vent (Bündnis AgiEL): 0157-59690000
Matthias Eickhoff (Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen): 0176-64699023

Weitere Infos:
https://atomstadt-lingen.de/aktuelles, www.ippnw.de, www.sofa-ms.de, www.bbu-online.de, www.bi-luechow-dannenberg.de