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Zur aktuellen Auseinandersetzung um Atomenergie

Mehr als nur eine Demonstration
 

120 Menschen demonstrierten am Samstag, dem 6. Oktober in Geesthacht gegen das Wiederanfahren des Atomreaktors in Krümmel. Das scheint für sich genommen nicht viel, aber wer sich umsieht stellt fest: Es engagieren sich wieder mehr Menschen gegen Atomenergie, gehen auf die Straße oder wechseln einfach von Atomstrom zu Ökostrom.

Bei kühlem aber sonnigem Herbstwetter demonstrierten am Samstag, dem 6. Oktober rund 120 Menschen mit Transparenten und einem Seifenblasen speienden Reaktormodell durch Geesthacht und weiter zum Reaktor Krümmel, der nach einer Störfallserie und Trafobrand seit dem 28. Juni 2007. abgeschaltet ist. Unter dem Motto "Ist der nächste Störfall der GAU?" wandte sich die Demonstration gegen das geplanten Wiederanfahren des Reaktors.

Zwei Wochen zuvor, am 22. September waren es ebenfalls rund 150 Demonstranten, die sich im bayrischen Schweinfurt bei Samba-Klängen zu einer Herbstdemonstration gegen Atomkraft trafen. Unmittelbarer Anlass: Das 25-jährige Bestehen des nahegelegenen Atomreaktors Grafenrheinfeld. Am gleichen Tag fand in Dortmund eine mit über 100 TeilnehmerInnen aus mehreren europäischen Ländern gut besuchte Konferenz gegen Uran-Wirtschaft statt.

Am 23. September entrollten Aktivisten der örtlichen Bürgerinitiative beim e.on-Familienfest zum 25-jährigen G rafenrheinfeld -Jubiläum ein Transparent: ’25 Jahre Atomstrom - 100000 Jahre Atommüll“.

Und Anfang Oktober gab es wie so oft in letzter Zeit in mehreren Städten Proteste gegen den aktuellen Uranmülltransport von Gronau nach Russland.
 

Krümmel und Brunsbüttel, ASSE II und die Bombe haben die Situation verändert.

Auch wenn es medial kaum zur Kenntnis genommen wird: Spätestens seit den Störfällen in Krümmel und Brunsbrüttel nehmen die Proteste gegen Atomkraft wieder spürbar zu. Allerdings sind sie nicht der einzige Auslöser. Seit über einem Jahr werden immer mehr Details über das einstige Vorzeige-Endlager ASSE-II bekannt, über das die Politik jetzt am liebsten nur noch hinter verschlossenen Türen redet. Auch wenn vor Ort, im Kreis Wolfenbüttel, die Wellen am höchsten schlagen, die grundsätzlichen Probleme des deutschen Atommüll-Konzeptes werden auch bundesweit zunehmend deutlich.

Und als das Bundesverwaltungsgericht im Frühjahr gleichwohl alle Belange der betroffenen Bürger und Kommunen beim geplanten Endlager KONRAD einfach „wegdefinierte“, kam es in Salzgitter zu einer Vielzahl spontaner Aktionen und Proteste.

Und eines sei nicht vergessen: Der früher tabuisierte Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung wird mittlerweile nicht nur zugegeben, sondern ist Thema der weltpolitischen Auseinandersetzung.

Alle Argumente gegen die Atomenergie haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte bitter bestätigt, die Menetekel kommen näher und die Politik zeigt ein hohes Maß an Handlungsunwilligkeit.
 

Die Politik hat ihre Chancen vertan !

Dabei hatte die Politik durchaus ihre Chancen. Viele Menschen hatten durchaus Sympathie mit dem Ansinnen, die Endlagersuche auf einer neuen Grundlage beim Punkt Null neu beginnen zu lassen. Die rot/grüne Bundesregierung schickte im Jahr 2000 eine Expertenkommission auf den Weg (AK End ), nach gesellschaftlich akzeptierten, wissenschaftlich konsensualen Kriterien für eine solche Endlagersuche zu machen. Die Erwartungen waren hoch, aber die Ergebnisse der Kommission verschwanden in ministeriellen Schubladen. Heute stehen wir gesellschaftlich an einem ganz anderen Punkt: Nach den desaströsen Erfahrungen mit ASSE II geht es nicht mehr nur um die Frage nach einem geeigneten Standort, die Frage stellt sich wieder ganz grundsätzlich, ob es überhaupt vertretbar ist, den Atommüll in die Erde zu legen und sich nicht weiter darum zu kümmern. wollen

Ähnlich beim Reaktorbetrieb. Der überwiegende Teil der atomenergiekritischen Bevölkerung hatte gehofft, das leidige Thema sei mit der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Energiewirtschaft vom Juni 2000 vom Tisch. Jetzt zeigt sich, dass die Gefahren akut geblieben sind, angesichts veränderter ökonomischer Rahmenbedingungen vielleicht sogar noch zugenommen haben.

Auch in den nächsten Wochen gehen die Aktionen weiter. Da ist zunächst die Demonstration gegen das geplante Endlager KONRAD in Salzgitter am kommenden Samstag, dem 13. Oktober. Am 23. Oktober findet in Garching eine Protestveranstaltung gegen den dortigen Atomreaktor statt. Für den 27. Oktober lädt der BUND nach Darmstadt zum Kongress: "Biblis jetzt abschalten" statt. Und Anfang November werden Bürgerinitiativen einen BfS/GRS-Kongress „RepoSafe“ (zur Endlagerfrage) in Braunschweig mit einer Dauermahnwache und zahlreichen eigenen Veranstaltungen begleiten.
 

Renaissance ?

Statt einer Renaissance der Atomenergie, über die ja eigentlich nur geredet wird, also eher eine Renaissance der Anti-AKW-Bewegung ? Ja und nein: Zwar gibt es wieder verstärkt Bewegung an diesem Punkt, aber sie ist fundiert in mehr als 3 Jahrzehnten Erfahrungen mit dieser Technik und der Auseinandersetzung darüber. Der Euphorie darüber, das atomenergiekritische Stimmen in die Parlamente zogen, ist die Ernüchterung gewichen, was dies bewirken kann. Und dem zum Kunden gewandelten Staatsbürger ist zudem ein ganz neues Mittel an die Hand gegeben: Dem Atomstromanbieter die kalte Schulter zu zeigen und zum Öko-Strom-Anbieter zu wechseln.

Die Frage ist also nicht, ob die „alte“ Anti-AKW-Bewegung wieder ersteht, sondern in welchen Formen sich die gesellschaftliche Abkehr von der Atomtechnik vollziehen wird. Und da gibt es eine ganze Menge Möglichkeiten. Die staatliche Medieninszenierung Gabriel und Glos streiten über den Atomausstieg dürfte dabei auf Dauer keine hinreichende Attraktion mehr haben.

Peter Dickel, Arbeitsgemeinschacht Schacht KONRAD e.V.