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Antonias Wörterbuch

W – Weiße Landkarte

Fahrt ins Neuland

Weiße Landkarten sind Relikte einer Zeit als Abenteurer und Expediteure aufbrachen, um ferne Kontinente aufzufinden. Noch waren jene Welten unbekannt - also weiß - jedenfalls aus dem Blickwinkel ihrer zukünftigen Entdecker. Und so richtig zu existieren begannen sie eigentlich erst unter deren Augen, als hätten sie die Macht, diese Welt selber zu erschaffen. Weite Landschaften taten sich auf und dichte Wälder, die förmlich darauf warteten, von einer Zivilisation der „alten Welt“ urbar gemacht und beherrscht zu werden. 

Dabei sind Weiße Landkarten reine Fiktion. Für die Urbewohner der entdeckten Gebiete war ihr Lebensraum nie ein Nichts, kein weißer Fleck auf einer Landkarte, sondern bunt und vielfältig. Es war ihr Zuhause, in dem sie ihre eigenen Kulturen und Normen entwickelt hatten und nach ihren ureigenen Vorstellungen leben wollten. Den Abenteurern, Expediteuren und kommenden Eroberern indes kamen diese Menschen mit ihrer fremden Lebensgestaltung in die Quere. Nur auf einer weißen Karte ließ sich die Welt nach ihrem Gutdünken gestalten. Jedes beschriebene Blatt bedeutete, dass eine andere Geschichte bereits begonnen hatte. Eine Geschichte, die den Abenteurern und Eroberern nicht genehm war. Doch sie wussten sich zu helfen, ignorierten einfach die Urbewohner in ihrem Dasein, mit ihrer Kultur. Verbannten sie hinter den blinden Fleck ihres Blickwinkels, und schon hatten sie ihre Weiße Landkarte wieder, um ganz unvorweggenommen die eigene Wirklichkeit zu gestalten.

Als Remake taucht die Weiße Landkarte 2011 wieder auf. Vom Bundesumweltministerium ins Spiel gebracht, dient sich jetzt als Weißmacher im eigenen Land. Abenteurer und Experten sollen einen Aufbewahrungsort für Atommüll finden – für immer – darum gehts. „Die Landkarte ist noch weiß“, versicherte der ehemalige Umweltminister, als könne der Atommüll irgendwann vom Himmel fallen wie ein Meteorit und läge nicht bereits überall im Land herum. Das hat der Minister ignoriert und seinen Nachfolger stört es auch nicht besonders. Die Suche nach dem einen einzigen Punkt geht weiter.

Aber die Anwohner an all den Atommüllstandorten, wollen die Wirklichkeit nicht länger übertüncht sehen. Sie haben ihre Blätter vollgeschrieben, eine farbige Landkarte mit allen Atommüllpunkten im Land. Und während Politiker immer noch heftig streichen, strahlt der Atommüll weiter, in einer Wirklichkeit, die sie anscheinend niemals einholt.

Antonia Uthe