(Do., 11.09.25/ MN) Sonst führt uns der Weg nach Lingen als Teilnehmer:innen oder Rednerin bei einer Demo, die sich für die Schließung der Brennelementefabrik in Lingen einsetzt. Nach wie vor steht die Entscheidung / Ablehnung der Genehmiigung der Erweiterung der Brennelementefertigung mit Beteiligung der russischen Atomkonzerns ROSATOM seitens des Niedersäschsischen Umweltminsteriums aus.
Am Freitag, den 22. August war unser Ziel jedoch die (Keller-)Räume, die der Elternverein Restrisiko Emsland e.V. jahrzehntelang für seine unermüdliche Arbeit genutzt hat. Hier waren wir verabredet mit dem ehemaligen langjährigen Vorsitzenden des Vereins Gerd Otten sowie dem aktuellen Vorsitzenden Peter Diehl, um die wichtigen Dokumente und Materialien für das Archiv Deutsches Atomerbe e.V. mitzunehmen, die die Arbeit des Vereins der Elternverein Restrisiko Emsland e.V. dokumentieren, der 1987 gegründet wurde.
Mit der Archivierung im Archiv Deutsches Atomerbe – aktuell mit Räumlichkeiten in Salzgitter – wird auch dieses bedeutsame Vermächtnis der deutschen Anti-AKW-Bewegung dort als Bestand geführt, so dass interessierte Öffentlichkeit, Wissenschaftler:innen insbesondere Historiker:innen und auch künftige Generationen auf diese fast einmalige Arbeit in Kontext der Anti-AKW-Bewegung Zugriff haben.
Die Geschichte des Elternvereins Restrisiko e.V.
In einem Interview, das die Ems-Vechte-Welle 2022 mit Gerd Otten führte, als er sein Amt nach 35 Jahren als Vorsitzender des Vereins aufgab, stellte er eindrücklich die Geschichte des Vereins und persönliches Engagement dar. Gerd Otten ist für viele im Emsland und darüber hinaus das Urgestein der Anti-Atomkraft-Bewegung im Emsland und war zum Zeitpunkt des Interviews 75 Jahre alt.
Gerd Otten legt nach 35 Jahren Amt im Elternverein "Restrisiko Emsland" nieder - Ems Vechte Welle
Die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl war 1986 der Auslöser. Auch im Emsland wurden erhöhte Strahlungswerte gemessen wurden.
„Der Landkreis richtete zwei Bürgertelefone ein und im Kernkraftwerk wurde die Strahlenbelastung von Gemüseproben gemessen.
Und im Februar 1987 entstand der „Elternverein Restrisiko Emsland“, der zwei Jahre später bereits 240 Mitglieder hatte.
Aus: Die Lingener Antiatomkraftbewegung - Heimatverein Lingen
Der Elternverein machte sich die Bekämpfung von Gesundheitsschäden durch Radioaktivität, vor allem bei Kindern zur Aufgabe und begann eine unabhängige Strahlenmessstelle aufzubauen. Dafür wurden Geräte im Wert von 70.000 DM angeschafft, um auf wissenschaftlicher Basis Lebensmittel und andere Proben auf ihren Anteil an Radioaktivität messen zu können, um die Menschen in der Region Emsland über bestehende Belastrungen zu informieren und Entscheidungshilfen bei der Nahrungsmittelauswahl geben zu können.
Denn es war „wenig hilfreich zu wissen, wieviel Becquerel in Milch in Hamburg oder die Äpfel in Wiesbaden haben, sondern wir müssen die Werte aus dem ganzen Emsland wissen,“ entnommen aus einem Informationsblatt des Elternvereins.
Es gab nur eine offizielle behördliche Messtelle in Niedersachsen bei der Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig;
dort dauerte eine Messung 60 Minuten und war damit zu langwierig, um sie vor Ort für die Messung radioaktiver Belastungen im Emsland zu nutzen.
So wurden im Emsland sechs Sammelstellen vom Elternverein initiiert bzw. eingerichtet (vom nördlichen Papenburg bis zum südlichen Bersenbrück), wo die Lebensmittel abgegeben werden konnten.
Gemessen und geprüft wurde in Lingen in den Räumlichkeiten des Elternvereins. Die Ergebnisse aus den umfangreichen Messprotokollen wurden wöchentlich in der Mitgliederzeitung veröffentlicht. Diese hatte 40 Ausgaben pro Jahr.
Für die Durchführungen der Messungen wurden u.a. Bleiburg und Waage angeschafft, um das radioaktive Cäsium in den Lebensmitteln zu messen.
Der Erwerb eine Faltvorrichtung erleichterte die Erstellung der Mitgliederzeitung. Der Verein wuchs schnell bis auf 400 Mitglieder. Die Menschen in der Region waren in Sorge nach dem Reaktorunfall und ebenso über den Betrieb der laufenden Atomkraftwerke in Lingen.
1990 wurde der Verein mit dem Umweltpreis der Stadt ausgezeichnet.
Auch diese Transportfahrt für das Archiv Deutsches Atomerbe war ehrenamtlich – von Friesland nach Lingen und zurück und dann letztendlich ins Archiv nach Salzgitter.
Und sie hallte bei den beiden ‚Abholern‘ noch lange nach, denn sie hatten intensiv einen weiteren wichtigen Teil der Aufklärungs- und Widerstandsarbeit gegen die Nutzung der Atomenergie in der Bundesrepublik an diesem Nachmittag geschildert bekommen. Bei der Übergabe waren das große Engagement und ‚Herzblut‘ spürbar, die Gerd Otten lange Jahre angetrieben hat, so dass er bis in das Jahr 2022 als Kritiker der Atomkraft immer wieder als Redner zu hören war und ein wichtiger Vertreter bzw. Gesicht des Widerstandes gegen die Atomanlagen im Emsland war und ist.
Und jetzt 78jährig hofft er und ist ebenso überzeugt, dass der notwendige Protest auch in Lingen von anderen engagiert weitergeführt wird.
Und mit dieser ‚Abholung‘ wurde den ‚Transporteuren‘ selbst auch noch einmal deutlich, warum sie Mitglied im Archivverein sind, der ihr Engagement braucht, und auch Spenden und weitere Mitglieder braucht,
damit unsere gemeinsame Anti-Atom-Geschichte gesichert und bewahrt werden kann.