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Nuclear-Free Future Award für eine Insektenmalerin

(Mi.,28-10-15/UT) Wissenskünstlerin steht unter dem Namen Cornelia Hesse-Honegger im Zürcher Telefonbuch. Sie ist Malerin. Ihr Sujet sind Insekten. Häufig Wanzen, deren geometrische Muster und leuchtenden Farben sie mit mikroskopischer Präzision aufs Papier bringt. Bilder von ästhetischer Schönheit sind das, die erst beim zweiten Hinsehen eine andere Wahrheit ans Licht bringen. Die Wanzen, die Hesse-Honegger abbildet, sind allesamt Mutanten, die sie im Umfeld von Atomanlagen gesammelt hat. Verkrüppelte Beine, eingedrückte Flügel, die Anomalien ihrer Findlinge sind vielfältig. Für Ihre Entdeckung, dass sich solch mutierte Insekten nicht nur in strahlenverseuchten Gebieten häufen, sondern an Atomanlagen, die im „Normalbetrieb“ laufen, wurde Cornelia Hesse-Honegger angefeindet. Heute bekommt sie für ihre Feldstudien den Nuclear-Free Future Award in der Kategorie „Aufklärung“ verliehen.

Der Nuclear-Free Future Award ehrt seit 1998 weltweit Menschen, die sich für eine Zukunft frei von Atomwaffen, Atomenergie und Uranmunition einsetzen. Er wird in den Kategorien Widerstand, Aufklärung und Lösung vergeben. Die Preisverleihung findet in jedem Jahr an einem anderen Ort statt (dieses Jahr in Washington D.C.). Hierdurch soll die Vielfalt der globalen Antiatombewegung abgebildet werden. In einer Öffentlichkeit, in der “Niedrigstrahlung“ verharmlost und am liebsten verschwiegen wird, sind die Zeichnungen und Bilder von Cornelia Hesse-Honegger nicht nur beredte Bestandsaufnahmen mutierender Welten im Strahlungsbereich von Atomanlagen, sondern auch Provokation.

Insekten sind stumm. Jedenfalls können sie nichts sagen, was das menschliche Ohr verstehen könnte. Doch demjenigen, der genau hinschaut, können sie dennoch etwas vermitteln. Sie können Menschen sogar warnen, jedenfalls diejenigen, die es verstehen genau hinzuschauen. Genau darauf aber versteht sich Hesse-Honegger. Als wissenschaftliche Zeichnerin für das Zoologische Institut in Zürich muss sie Versuchsreihen mit Drosophila-Fliegen dokumentieren, deren Futter zu Forschungszwecken mit erbgutveränderndem Ethyl-Methyl-Sulfonat versetzt worden ist. Diese Tiere, die auf  “mitleiderregende Weise“ entstellt sind, lassen die Malerin nicht mehr los. Sie bekommt einen weiten Blick für solche Wesen auch außerhalb des Forschungslabors. Ihre Hauptaufmerksamkeit gilt Wanzen, die durch ihren schnellen Generationswechsel ein guter Indikator für Umwelteinflüsse sind.

1987 fährt Hesse-Honegger nach Österfärnebo in Schweden, um Insekten zu sammeln. In dieser Gegend Westeuropas, so hat sie herausgefunden, soll der Fallout der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am stärksten gewesen sein. Hier wird sie Zeugin. In diesem belasteten Gebiet findet sie eine Vielzahl mutierter Wanzen. Damit beginnt ein neuer Lebensabschnitt für die Malerin. Sie reist nach Sellafield, in die Atomtestgebiete Nevadas und überall stößt sie auf Wanzen der Gattung Heteroptera, die deutliche Mutationen aufweisen. Während der natürliche Anteil mutierter Insekten bei etwa einem Prozent liegt, ist an den Orten, die Hesse-Honegger aufsucht, jedes fünfte Insekt körperlich geschädigt. Doch sie sammelt nicht nur in bekanntermaßen verstrahlten Gebieten, sie betreibt ihre Feldforschungen auch an Atomkraftwerken im „Normalbetrieb“: an AKWs in Aargau, Gundremmingen, Stade oder Krümmel, überall kommt sie zu ähnlichen Ergebnissen.

Die Wissenschaftler am Zoologischen Institut für das Cornelia Hesse-Honegger gearbeitet hatte, tun ihre Ergebnisse als amateurhaft ab. Experten stempeln sie zur Hysterikerin. Nach ihrem Artikel im Magazin des Zürcher Tages-Anzeiger erhält die freischaffende Zeichnerin keine Aufträge mehr vom Institut. „Behörden“, sagt sie, „akzeptieren etwas nur, wenn Akademiker die Resultate bringen.“ Und von denen, das hat sie inzwischen erfahren, sind viele auf diesem Auge blind. Trotz aller Anfeindungen kämpft sie weiter. Wohlwissend, dass die Wanzen tatsächlich radioaktiv verseucht sind, denn die Malerin weiß, was sie sieht. Heute wird sie dafür mit dem Nuclear-Free Future Award geehrt.

Quellen: Hugh Raffles. Insektopädie. S. 19 - 43; Preisträger | Pressemitteilung

29.1.2016 Bericht im Deutschlandfunk | anhören